Lyngseidet – Begegnung am Ulsfjord
Es ist noch früh am Morgen, wir haben in unserem VW-Bus in den Lyngen Alpen übernachtet. Wir sind Ende Mai in dieser Region unterwegs, oben in den Bergen liegt noch Schnee. Etwa 800 Menschen leben auf der gesamten Halbinsel Lyngen mit ihren 140 Gletschern. Die nächste Fähre soll uns über den Ulsfjord weiter nach Norden bringen. Im kleinen Supermarkt am Fähranleger im Zentralort der Halbinsel, Lyngseidet, kauft meine Frau noch schnell ein paar Dinge zum Frühstücken ein und bringt gleich den Kaffee mit. Ich schaue derweil auf den Fjord und spiele mit unserem beiden kleinen Kindern, da klopft es an der Scheibe der Fahrertür.
Ein norddeutsches Autokennzeichen haben ihn neugierig gemacht, in dieser doch recht abgelegenen Gegend. In perfektem Deutsch spricht er mich an und als ich ihn auf seine unerwartet guten Deutschkenntnisse anspreche, gesteht Jürgen, deutscher Auswanderer zu sein.
Aus Mecklenburg-Vorpommern kommt er, aber er würde als echter Norweger durchgehen. Kurz nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten sah Jürgen keine Perspektive mehr und meldete sich in Norwegen als arbeitssuchend. Sobald er einen Arbeitsvertrag hatte, packte er seinen kleinen Wagen, nahm Frau und seinen damals zehnjährigen Sohn mit und ließ alles andere zurück.
Am Ulsfjord, hier in Lyngseidet angekommen, arbeitete er zunächst auf einem Bauernhof. Seine Frau nahm ein Angebot im örtlichen Pflegeheim an. Später sei er Schneepflug gefahren, manchmal 21 Stunden am Stück. Dann hätte er mit seinen Kollegen oft verzweifelt versucht, mit Schneepflug und Schneefräse die Hauptverbindung zwischen Svensby und Lyngseidet frei zu halten. Die Straße führt zum großen Teil durch ein enges Tal, entlang an teils schroffen Berghängen. Das Tal wirkt wie ein Windkanal. Kaum ist sie geräumt, wird sie wieder meterhoch zugeweht. Aber die Einsatzfahrzeuge, die Krankenwagen, sie müssen sich im Notfall bis nach Tromsø durchkämpfen. Und das geht dann eben nur im Konvoy hinter den Räumfahrzeugen.
Später hat Jürgen als Zimmermann gearbeitet. Jürgen ist Praktiker. Man gibt ihm eine Aufgabe und er erledigt sie. Sich für nichts zu schade zu sein hat ihn weiter gebracht. Und, offen für die Menschen im Ort zu sein, das sei das wichtigste.
Heute ist Jürgen vom Arzt arbeitsunfähig geschrieben. Ihn weiter zu beschäftigen, auch, wenn er selbst so gerne möchte, sei nicht zu verantworten. Aber es gehe ihm und seiner Familie gut, er sei im norwegischen System gut versorgt, meint er und zeigt auf sein Allrad-getriebenes Fahrzeug. Er habe ein kleines Haus im Ort und einen Wohnwagen, mit dem sie gerne im Sommer auf Tour gehen.
Sein Sohn studiert in Narvik irgendwas mit Computern. Eigentlich hatten sie sich damals ein halbes Jahr gegeben, um für sich Norwegen zu testen. Doch schon früh habe ihr Sohn gesagt, dass er nicht mit zurück käme, sollten sie wieder nach Deutschland wollen. Aber sie haben sich hier am Lyngenfjord, hier in Lyngseidet eingefunden und fühlten sich von Anfang an hier zu Hause. Und hier von den Einheimischen angenommen. Viele Freunde haben sie gefunden in diesem kleinen Dorf. Immer wieder sind sie verabredet und auch sein Sohn habe gleich Spielkameraden gehabt.
Aber Jürgen und seine Frau haben zusammen mit ihrem Sohn Tag und Nacht die Sprache gelernt. Nach einem halben Jahr konnten sie sich verständigen, heute geht das völlig dialektfrei.
Meine Frau kommt mit den Einkäufen und zwei Becher Kaffee in der Hand wieder zum Wagen, die nächste Fähre fährt ohne uns ab. Einen Kaffee für Jürgen, den anderen teilen wir uns. Dazu ein paar Kekse.
Oberhalb der Baumgrenze ist Trollland
Oberhalb der Baumgrenze sei Trollland, meint Jürgen und zeigt auf die steilen Hänge. Er meint, da hätte niemand was zu suchen. Und wenn doch sich jemand dorthin verirrt, frage ich ihn. Das habe vor zwei Jahren ein Deutscher gemacht. völlig unerfahren mit diesem Gelände. Es sei ein schwieriger Rettungsversuch gewesen, erzählt er uns und zeigt auf den Hang hinter dem Haus, an dem der Wanderer aufstieg. Die Tour verlief für ihn tödlich.
Dann erfährt er, dass meine Frau als Ärztin arbeitet und wir uns durchaus auch mit dem Gedanken auseinander setzen, in Norwegen zu leben. Und nun legt Jürgen richtig los. Als wolle er uns etwas verkaufen. Leidenschaftlich wirbt er, dass wir doch auch hier her kommen. Er strahlt, wenn er von der Landschaft, von dem Sommern und Wintern am Lyngenfjord erzählt. Er versucht, alle möglichen Sorgen und Bedenken zu zerstreuen.
Zumindest, so versprechen wie, kommen wir wieder und vielleicht treffen wir uns genau wieder hier, in Lyngseidet am Fähranleger des Ulsfjord. Doch nun kommt die nächste Fähre und ein wenig schwer fällt es uns mal wieder, uns zu verabschieden.
Har det bra, Jürgen, vi sees!
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