Kvalsund am Repparfjord – ein Dorf im Wandel
Wer nicht gerade in Nordnorwegen, in Troms oder der Finnmark lebt, wird weder von Kvalsund noch vom Repparfjord etwas gehört haben. Auf unserem Weg zur offiziell nördlichsten Stadt Europas, nach Hammerfest, kommen wir durch diesen Ort. Der irritiert und fasziniert uns zugleich, würde man in solch vordergründig kargen Umgebung doch keine Siedlung in dieser Größe vermuten.
Um es vorweg zu nehmen, das Titelfoto spiegelt nicht den Zustand von Kvalsund am Repparfjord wider, vielmehr faszinieren mich alte verfallende Gebäude und ihre Vergangenheit. Zudem vermittelt das Foto der alten Fischfabrik den Wandel, dem Kvalsund mit seinen etwa 1000 Menschen immer wieder ausgesetzt ist. Zudem merke ich zuhause bei der Bilder-Durchsicht immer wieder, was ich alles nicht fotografiert habe. Einer der Gründe also, hier wieder her zu kommen und einen kleinen Teil der Geschichte dieser Umgebung erleben zu dürfen.
Die Landschaft ragt zum Teil steil aus dem Fjord empor. Im Norden und Westen verläuft sie recht hügelig, während sie im Süden eine Hochebene bildet, die etwa 200 bis 300 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Diese Hochebene zieht sich wie ein Kamm in Richtung Sennaland.
Die höchsten Berge um Kvalsund herum sind der Seilandsjøkeln mit einer Höhe von 986 Meter am Seiland, der Store Navgastat mit einer Höhe von 713 Meter und Skinfjellet am Kvalsunddalen mit einer Höhe von 713 Metern.
In dieser Umgebung nutzen vor allem die Samen die Weideflächen für ihre Rentiere aus der Umgebung von Kautakeino. Die Umgebung ist aber auch ein herrliches Wandergebiet. Aber auch die zu Kvalsund teilweise gehörende Insel Kvaløya oder das Seiland sind traumhafte Landschaften zum Wandern. Die Gewässer sind für ihren Reichtum an Meeresforellen und Lachsen sehr beliebt. Der Repparfjord gehört zu den bekanntesten Gewässern für Wildlachs, ist jedoch komplett verpachtet.
Kvalsund liegt etwa 32 Kilometer vor Hammerfest, von Alta oder Lakselv fahren wir etwa 112 Kilometer. Grund genug also, einen Ort wie Kvalsund zu haben, an dem es wirklich alles gibt, was man zum Leben braucht. Und doch hat sie sich seit dem 01.01.2020 mit seinem Nachbarn Hammerfest als gemeinsame Kommune vereint. Den Wunsch dazu hab es in der Bevölkerung beider Kommunen schon seit dem Jahr 2015. Der Beschluss zur Fusion folgte dann 2017.
Dabei gehörte Kvalsund schon einmal zu Hammerfest. Doch das endete mit dem 01. Juli 1869. Da wurde Kvalsund eigenständige Kommune und bekam zugleich Stadtrechte mit allen verbundenen Privilegien. Zunächst lebten 541 Menschen in der neuen Kommune. Die erste neue Fusion brachte am 01. Januar 1963 das dünn besiedelte Gebiet von Kokelv mit 34 Einwohnern zur Kommune Kvalsund.
Den Namen hat der Ort durch seine Lage und den wohl früher hier vorbeiziehenden Wal. Denn der Name setzt sich aus Wal und Meerenge zusammen.
Ursprünglich galt Kvalsund als eine Siedlung der Samen. Und so lautete auch der ursprüngliche Name des Ortes Finnbyen, was wiederum für Samen-Siedlung steht. Doch durch die Zuwanderung von Norwegern und der Kven-Siedler im 18. und 19. Jahrhundert aus dem südlichen Norwegen veränderte sich die kulturelle Entwicklung. Doch zwischen dem 18. Jahrhundert bis etwa 1980 gab es eine erbarmungslose Norwegisierung der Samen, so dass große Teile der samischen Kultur zerstört wurden. Heute gibt es in Kokelv ein kleines Museum, welches an die regionale Lebensweise der Samen erinnert.
Wie in der gesamten Finnmark gibt es in Kvalsund kein Gebäude aus der Vorkriegszeit, bis auf eine Ausnahme. Denn am 04. November 1944 wurden die Bewohner auch in Kvalsund zwangsweise evakuiert. Sie durften nur mitnehmen, was sie tragen konnten. Schon bei der Abfahrt der Boote sahen sie in der Dunkelheit den Feuerschein über den Ort, jedes Haus wurde angezündet und brannte nieder.
Aus welchem Grund auch immer blieb die Kirche in Kvalsund verschont. Sie war erst 1936 geweiht worden. Als die Menschen ab April 1945 wieder heimkehrten, sahen sie nur das hohe Gras und die Brandruinen ihrer Häuser. Während ihrer Vertreibung waren einige bis an die Südküste von Norwegen gebracht worden. An anderer Stelle werden wir Zeitzeugen zu Wort kommen lassen.
Der Wiederaufbau begann, die Fähre auf die teilweise zu Kvalsund gehörende Insel Kvaløya und damit nach Hammerfest nahm ihren Betrieb wieder auf. Im Jahr 1977 wurde die Fährverbindung durch die nun nördlichste Hängebrücke der Welt abgelöst. Die Brücke und deren Geschichte beschreiben wir hier.
Noch eine weitere Besonderheit. Denn in der Nähe der Kvalsundbrücke befindet sich das erste Gezeitenkraftwerk der Welt. Die starken Strömungen in dieser Meerenge waren ausschlaggebend für diesen Standort.
Eine weitere, doch sehr umstrittene Besonderheit in Kvalsund ist aktuell im Entstehen. Nahe des Ortes entsteht eine der größten Kupferminen Europas. Besonders heikel dabei ist zum einen der Einschnitt in das Weideland der Rentiere der Samen, zum anderen aber auch die Entsorgung von Millionen Tonnen hochgiftigen Gesteins, was bei der Gewinnung des Kupfers keine Verwendung mehr findet. Es wird als Seedeponie in den fischreichen Repparfjord entsorgt. Digitalisierung gibt es eben nicht zum Nulltarif.
Auf jeden Fall werden wir Kvalsund in Kürze wieder besuchen und dann auch ausgiebig fotografieren. Manchmal merkt man leider erst im Nachhinein, an welcher Perle man zu Gast war.
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