Betonarchitektur als Kriegsarchitektur
Es gibt Architekturen, die sind für die Ewigkeit gedacht. Doch niemand will sie haben. Nicht hier im Jetzt. Und schon gar nicht in der Ewigkeit. Auch, wenn es gefühlt eine Pest aus Beton ist, es ist Architektur. Wir nähern uns fotografisch eines der größten Bauwerke des 20. Jahrhunderts, dem Atlantikwall.
Beton und Wahn, das sind zwei Elemente, die, zusammen geführt, ideologisch erhebliche Sprengkraft besitzen. Nur den Beton kann man, einmal im Wahn gegossen, kaum mehr zum Bersten bringen. Solcher Wahn ist in der Regel okkult, satanisch, egal welchen Glauben die seelentoten Wahnsinnigen zu leben vorgaukeln.
Spannend vor diesem Hintergrund solcher sinnentleerten Monumentalbauten ist die Paarung von Größenwahn und Angst. Die äußeren Dimensionen verraten viel über die Allmachtsvorstellung, das Materialvolumen zugleich über die Feigheit solcher selbsternannten Götter, die anderen ihre eigene psychische Last in Form von Beton aufbürden.
Unvorstellbar aber real gibt es Kleingeister, die zu solchen Tyrannen noch aufschauen und sich im Antlitz deren Herrlichkeit wähnen, wenn sie doch nur diese seelenlosen Ideen zumindest umsetzen wenn nicht sogar noch steigern dürfen. Ein Ausdruck von persönlichen Glück ist dies indes nicht, weder bei den Despoten noch bei ihren ergebenen Huldigern. Und so bleibt ein Monument, unzerstörbar, unverrückbar, für die gefühlte Ewigkeit, vielleicht tatsächlich bis ans Ende der Welt, stehen und verrät, welch teuflische Fratzen für solche Projekte Pate standen.
Das Drama: Diese in Beton gegossenen Geistespest für die Ewigkeit gebaut steht in einer Umgebung, in der es wirklich paradiesisch leben lässt, so, wie man sich die Ewigkeit in seinen Träumen vielleicht vorstellt. Nun mag man darüber spekulieren, ob das einzig wünschenswerte Paradies durch den paranoide erschaffenen Betonkomplex erdrückt wird oder solche Komplexe durch ihre eigenen Schwere in der Sanftheit und Weichheit der paradiesischen Umgebung versinken.
Der Atlantikwall gilt schon während der Bauphase als die größte Verteidigungsanlage der Geschichte, die eher der Propaganda diente als einer echten Verteidigung. Das perverse daran ist zudem, dass die komplette Anlage von Menschen gebaut werden musste, die von den gleichen Diktatoren zu Feinden gestempelt und zur Zwangsarbeit verpflichtet wurden.
Sie errichteten unter Entbehrungen und menschenunwürdigen Zuständen 12.247 Bunkeranlagen und Geschützstände, sie verbauten dabei 17,3 Millionen Tonnen Beton und 1,2 Millionen Tonnen Stahl. Es dürften hunderttausende Menschen gewesen sein, die für diesen Schwachsinn geknechtet und zum großen Teil getötet wurden oder vor Mangelernährung und Erschöpfung verstarben. Sie waren herausgerissen aus ihrem persönlichen, kleinen Paradies und konnten nicht mehr anders als nachhaltig an der Verschandelung der anderen kleinen und großen irdischen Paradiese mitzuwirken.
Auch, wenn in der Fachwelt der Versuch gestartet wurde, die Architektur einer Stilrichtung wie dem Expressionismus zuzuordnen, Beton in dieser Konstellation hat genauso wenig Stil wie seine Architekten.
Nun, der Krieg ist lange vorbei, er geht uns ja eigentlich gar nichts mehr an. Es dürfte kaum noch Menschen geben, die den Krieg aktiv erlebt haben. Und doch stoßen wir auf diesen Beton, inmitten unseres kleinen Paradieses, inmitten von Sonne, Strand und Meer. Nein, den Krieg kann man nicht so ohne weiteres aus der Welt schaffen und wie bereits angemerkt, auch nicht seine ewige Architektur. Wie also damit umgehen?
Alleine in Dänemark wurden 7.000 Bunker und Schießstände errichtet, gerade einmal 1.000 dieser Betonklötze wurden entfernt. Ein Abriss ist kaum zu finanzieren, eine Sprengung viel zu schädlich für die Umgebung. Schon der Bau hat die Landschaften entlang des Atlantikwalls massiv verändert. Ganze Straßenzüge wurden abgerissen. Wälder für die Gewinnung der Verschalungen vernichtet, Dünen umgegraben, riesige Zwangsarbeiterlager errichtet…. Noch einmal einen vergleichbar aufwendigen Einschnitt konnte und kann man nicht mehr vermitteln.
So bleibt die von den Rechten so gern verdrängte Erinnerungskultur in Beton gegossen, unverfälscht, eindeutig beweiskräftig und es zeigt die Dummheit der Menschen von damals und heute, die ihre Macht in Beton zum Ausdruck bringen und dabei nicht merken, wie klein sie sich damit machen.
Langsam beginne ich, die Bunker, die Kriegsarchitektur als sichtbares Überbleibsel zu akzeptieren. Nicht akzeptieren aber möchte ich, dass sich eine solche Geschichte in Europa wiederholt und auch nicht, dass meine Kinder sich eines Tages Betonköpfen, seelentot, verängstigt, tölend, feige, beugen sollen. Beton soll ein Zuhause schaffen, aber kein Zuhause zerstören.
Beton mit dem Kodak Tri X in Szene setzen
Wie nun aber all dies in ein Foto packen und entsprechend transportieren? Zum einen gab es in dieser Zeit eine sehr berühmte Familie, die Menschen vor Zwangsarbeit, Deportation und Ermordung gerettet hat und nur deshalb schadlos überleben konnte, weil ihre Produkte kriegswichtig waren: die Familie Leitz mit ihren schon damals weltberühmten Leicas. Umso mehr fühlt es sich für mich gut an, diese Form mit einer analogen Kamera aus deren Hause aufzunehmen.
Die Aufnahmen sollen nicht verzerren, nicht über das schon angerichtete Drama hinausgehen, so ist das verzeichnungsfreie Weitwinkelobjektiv mit 28mm Brennweite die richtige Wahl. Zudem handelt es sich bei den Aufnahmeobjekten um historische Substanz, mit allem Grau-en, mit aller Kälte und mit allem Kontrast zur friedlichen und schönen Landschaft.
In Anlehnung an das Filmmaterial aus jener Zeit habe ich mich für den Kodak Tri X entschieden, der über Jahrzehnte der Reportagefilm schlechthin war und dessen Abzüge, sofern inhaltlich gefüllt, damals wie heute berühren. Um den Kontrast leicht zu steigern, wurde bei den Aufnahmen mit einem Orangefilter gearbeitet. Denn die Schwarze Architektur, wie sie in Bezug auf ihr Ergebnis genannt wird, sollte genauso dunkel und dramatisch wieder gegeben werden. Dabei wird sie im Kontext mit der friedlichen und paradiesischen Landschaft gezeigt, in dem die Ideologie, in Beton geformt, eines zeigt. Sie stört.
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